Morgen entscheiden unserer britischen EU-Gefährten über einen weiteren gemeinsamen Weg in der EU. Und so sehr wir in Deutschland auf einen Verbleib in der EU hoffen, so passioniert interessiert schaut auch China auf die Abstimmung. Denn sie könnte weitreichendere Folgen haben, als wir uns in Europa denken.
Natürlich ist uns allen bewusst, dass sich etwas an unserem Handeln in Europa ändern muss und wir die bevorstehende Abstimmung schon im Vorfeld für intensive Diskussionen genutzt haben. Und auch danach – unabhängig vom Ausgang – werden sich Diskussionen und hoffentlich auch Taten daraus weiter entwickeln. China dürfte dies mit Argus-Augen verfolgen: ein Austritt und eine EU ohne Great Britain würde die EU-Werte- und Staatengemeinschaft unglaublich charmant schwächen – und damit Kräfte für die Umsetzung des geopolitischen Entwicklungsmodell Chinas bis 2049 stärken. China strebt hier nicht weniger als die industrielle Weltvormachtstellung an.
Doch der Brexit könnte auch für China viel mehr bedeuten, Testfeld Europa sozusagen. Welche Parallelen können zum eigenen Land gezogen werden?– Gibt es in Europa das System Marktwirtschaft, welches doch gut funktioniert und eine Alternative darstellen könnte – weil es die Einung zwischen unterschiedlichen Märkte, Regionen und Kulturen ermöglichst? Es wäre ein Gedankenkonstrukt, um auch den möglichen Zerfall China mit dem Beginn der Abspaltung durch Taiwan, Hongkong, Tibet oder anderen Gebieten zu verhindern, denn die innerchinesischen Unruhen wachsen. Europa könnte damit zu einem möglichen Präzedenzfall für China avancieren – wenn der Erhalt der Staatengemeinschaft gelingt. Der Weg wäre zudem geebnet, sich evtl. doch der Marktwirtschaft weiter anzunähern.
Ein Brexit könnte jedoch auch weitere chinesische Entwicklungsszenarien beeinflussen. Die Frage, wie eine derart essentielle Abspaltung organisiert werden kann, bleibt. Der Herausfall eines Teilgebiets oder Mitgliedsstaates ist nicht trivial. Auch in diesem Fall könnte der denkbare – und dennoch nie zu befürwortende Brexit – ein Lehrstück für China sein. Obgleich die chinesische Regierung mit sämtlichen Mitteln für den Erhalt der Einheit kämpft; selbst die Rolle rückwärts zur Mao-Zeit und Kulturrevolution wird derzeitig als opportun umgesetzt. Der gleiche Kampf findet auch in der EU statt, denn eines ist gewiss: die Größe und die Vielfalt innerhalb der EU ist eine ihrer Stärken.
Und noch etwas ist gewiss: China lernt gerne zum Wohle der chinesischen Gesellschaft von internationalen Vorbildern. Ganz bestimmt aber wird Beijing nicht übernehmen, wie kurzfristig und zu wenig durchdacht und wie umsetzungsschwach Europa und Deutschland agieren, wenn es darum geht, den Wirtschaftsstandort attraktiver für Investitionen oder Innovationen zu gestalten. Vielleicht täte uns allen bei aller Moderne ein nostalgischer Blick gut: dahin, wo heißt „in guten und in schlechten Zeiten“. Lasst uns darüber diskutieren und auch Unzufriedenheit und die positiven Aspekte in diesen Diskussionen Platz finden – und vor allem: lasst und dann gemeinsam etwas ändern.
Europa und ein Brexit – das ist wie Fish’n Chips ohne Chips.
Das geht gar nicht! Das darf nicht gehen.
(Essay von Dr. Diana Kisro-Warnecke.)
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